Neugier und Furcht hatten mich hergeführt in dieses bizarre Theater, verborgen im Labyrinth der Keller und Tunnel unter den Gassen von Wien.
Vielleicht war das Gewölbe einmal ein Weinkeller gewesen oder eine Schatzkammer - ich wusste es nicht. Jetzt aber beherbergte es eine kleine Bühne mit nachtschwarzem Vorhang sowie gepolsterte Stühle für geschätzt zwanzig Gäste. Myriaden von Kerzen tauchten den Raum in ein mystisches Licht.
Ich saß in der Mitte der ersten Reihe, nur wenige Schritte von der Bühne entfernt.
Die Vorstellung musste in Kürze beginnen. Meine Gedanken kreisten um Magdalena. Was mochte sie fühlen in diesem Moment? Vorfreude oder Lampenfieber? Sie würde es mir nach dem Auftritt erzählen. Vielleicht.
Die Sitzplätze füllten sich mit Frauen und Männern in Abendgarderobe. Sie trugen seidene Augenmasken, passend zur Soirée. Von überall her war Gemurmel zu hören. Gespannte Erwartung lag in der Luft, denn nichts an diesem Ort war gewöhnlich, weder die Darsteller noch das Programm.
Dies war das Schattentheater, wo Fieberträume der Lust zum Leben erwachten und der Eintritt mit Mut bezahlt wurde. Denn nur wer selbst auf dieser Bühne gestanden hatte, war als Zuschauer willkommen.
Als Gatte Magdalenas war ich zwar geduldet, stand jedoch unter der Aufsicht von Lady Cassandra. Die Grande Dame des Etablissements saß direkt neben mir.
»Na, bist du schon aufgeregt, Jannis?«, fragte sie mich süffisant.
Eine rein rhetorische Frage! Selbstverständlich war ich nervös. Meine Ehefrau sollte gleich vor aller Augen von einem anderen Mann bestiegen werden. Ein erotisches Abenteuer - verabredet, einmalig und unverbindlich. Natürlich. Und doch: Nicht immer war jede Wendung vorherzusehen …
Mein Gesichtsausdruck musste mich verraten haben. Die Lady lächelte wissend.
»Jetzt schau nicht so!«, raunte sie mir ins Ohr. »Ich habe einen erfahrenen Meister für deine Gattin gewählt. Sie wird die Erfahrung genießen.«
Möglicherweise. Bei mir selbst war ich da weniger sicher. Magdalenas sexuelle Unterwerfung durch einen Dom war für mich bislang nur eine erotische Fantasie gewesen, ein prickelnder, sadomasochistischer Traum. Doch davon zu träumen, war etwas anderes, als es real zu erleben …
»Ich hoffe, er tut ihr nicht allzu weh«, gab ich gallig zurück. »Meine Frau ist mir lieb und teuer, Mylady!«
Die Antwort kam merklich pikiert: »Sie ist ein erwachsener Mensch, kennt das Safeword und entscheidet selbst, wie weit sie geht. Außerdem seid ihr freiwillig hier, oder?«
Ich schwieg, denn es war sinnlos, die Wahrheit zu leugnen: Wir hatten gemeinsam entschieden, hierher zu kommen.
Ein Gong beendete alle Gespräche im Raum.
Wenig später war Stille, nur kurz, aber dröhnend.
Und dann, unter Orgelklängen, wurde der Vorhang geöffnet.
Die Bühne erstrahlte in Rot. Zu meinem Erstaunen wies sie nur wenig Staffage auf: Dort oben stand ein hoher, vierbeiniger Hocker. Sonst nichts. Irgendwie hatte ich mehr erwartet.
»Ist das alles?«, flüsterte ich.
Lady Cassandra kicherte amüsiert. »Barhocker sind vielseitig verwendbar«, erwiderte sie, »lass dich überraschen …«
Ihr maliziöser Tonfall behagte mir nicht. Auch meine Lust auf Überraschungen hielt sich plötzlich in Grenzen. Ich bekam Gänsehaut von der düster-sakralen Musik: Die Härchen an meinen Armen richteten sich auf.
Während die letzten Orgeltöne verhallten, kam Bewegung ins Bild. Aus dem dunklen Zugang der Bühne trat ein wahrhafter Hüne hervor. Ein verstörender Anblick: Der Mann trug hohe Stiefel, einen Lendenschurz aus schwarzem Leder, dazu eine Henkersmaske mit Löchern für Augen und Mund. Tattoos bedeckten seinen Torso und die sehnigen Arme. Dicke Muskeln glänzten ölig im Licht. Er hatte einen großen Beutel dabei, den er auf den Boden legte. An einer Kette zog er Magdalena hinter sich her. Die stählernen Glieder waren um ihre Taille geschlungen und klirrten unter der Spannung.
Ich schluckte: Nur ein Büßerhemd bedeckte die Blöße meiner zierlichen Frau. Sie wirkte verletzlich darin. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit einem Seil zusammengebunden.
Trotz aller Absprachen fröstelte ich. Die Inszenierung wirkte schockierend echt!
»Stell dich dort hin, junges Fräulein!«, befahl der Meister und wies auf die Mitte der Bühne. Sein slawischer Akzent passte perfekt zur Rolle: männlich, hart, dominant.
Trotzdem widersetzte Magdalena sich ihm. Sie blieb stehen und drehte den Kopf weg.
War der Widerstand echt oder gespielt? Ich konnte nur spekulieren, denn ihre Miene zeigte keinerlei Regung.
»Gehorche!«, knirschte der Mann. In meinen Ohren klang seine Stimme wie polternde Steine. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Zögerlich beugte sich meine Gattin schließlich doch seinem Willen. War das wirklich ein Spiel? Mein Bauch und mein Kopf widersprachen einander.
Ich rutschte beunruhigt auf meinem Stuhl herum.
»Was auch immer geschieht«, ermahnte mich Lady Cassandra, »bleib ruhig und vertrau mir.«
Ich lächelte freudlos. Vertrauen? Leichter gesagt als getan: Der Meister hatte ein Messer aus dem Beutel genommen.
Als die Lady meine Furcht bemerkte, legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
»Ihr geschieht nichts«, versprach sie, »du hast mein Wort.«
Widerstrebend sank ich zurück in den Sitz.
Meine passive Rolle missfiel mir. Stand ich nicht abseits, am Rand des Geschehens?
Ich war frei zu gehen, doch ich blieb. Mein Voyeurismus verriet meinen Stolz.
Magdalena stand einfach nur da und starrte ins Leere. Weder regte sie sich, als der Meister die Kette von ihrer Taille löste, noch als er ihre gefesselten Hände befreite. Erst als er ihr Hemd der Länge nach aufschnitt, senkte sie demütig den Blick. Er setzte das Messer am unteren Saum an und zerteilte das Leinen bis zum Kragen hinauf. Der Stoff rutschte von ihren Schultern und glitt langsam zu Boden.
Da stand sie: nackt, ausgeliefert, ihr weißer Leib schön in seiner Verletzlichkeit. Aus dem Publikum vernahm ich bewundernde Laute.
Prüfend ging der Maskierte um sie herum, berührte ihren Hals, die Brüste und die Innenseiten der Schenkel. Sie atmete schwer, hielt die Augen geschlossen, die Lippen geöffnet. Ihre Brustwarzen, rosig und steif, zeugten von ihrer Erregung. Ich glaubte, sie leise seufzen zu hören.
Noch während ich Magdalena mit den Augen verschlang, langte der Hüne erneut in den Beutel. Das Messer verschwand. Zum Vorschein kam ein Sklavenhalsband, aus Leder gefertigt, mit einem stählernen Ring. Dominant griff der Mann meiner Frau in die rotblonde Mähne, bog ihren Kopf in den Nacken und legte ihr das Band um den Hals. Sie leistete keinen Widerstand, als er die Schnalle schloss.
Würde jemals das Safeword fallen? Diese heimliche Hoffnung erfüllte sich nicht. Ich begehrte Magdalena, sah sie vor mir und konnte sie doch nicht erreichen. Der Meister verwandelte sie vor meinen Augen in seine Sklavin.
Für den Bruchteil einer Sekunde streifte mich ihr Blick: Ein herausforderndes Lächeln huschte ihr übers Gesicht. Spielte sie mit meinen Gefühlen?
Der Meister stellte den Barhocker direkt vor sie hin.
»Bück dich, Sklavin!«, verlangte er barsch.
Magdalena gehorchte stumm, aber ich sah das Leuchten in ihren Augen, als sein Lendenschurz fiel. Ich wusste: Jetzt war es soweit!
Aus seinem Beutel holte er ein quadratisches Päckchen aus Plastik und riss es mit den Zähnen auf. Ohne Hast nahm er das Kondom heraus, rollte es über sein aufgerichtetes Glied und drang von hinten tief in meine Ehefrau ein. Ihre grünen Augen weiteten sich, ihr Atem ging rasch, ein lustvolles Stöhnen entwich ihren Lippen.
Ich wollte wegsehen, doch konnte es nicht. Sie schaute mir direkt ins Gesicht!
Aus dem Hintergrund setzte Musik ein. Zu einem treibenden, dunklen Rhythmus, der nach Schweiß und Begierde klang, nahm der Meister meine Gattin kraftvoll von hinten.
Er schonte sie nicht: Im Takt der dumpfen Bässe schlug er rechts und links auf das zuckende Fleisch ihrer Hinterbacken. Das Klatschen der Hiebe hallte durch das Gewölbe, und Magdalena schrie brünftig ihren Lustschmerz heraus. Mit jedem Mal wuchs meine Erregung. Ich war wie hypnotisiert. Wieso nur faszinierte mich diese Szene so sehr?
»Mir scheint, dir gefällt, was du siehst«, wisperte Lady Cassandra.
Mein Mund war zu trocken zum Sprechen.
»Lust und Leid verstärken einander, wenn sie verschmelzen«, erklärte sie weiter, »die kleine Stute braucht massive Reize, um zum Höhepunkt zu gelangen. Es gefällt ihr, hart geritten zu werden. Schau genau hin!«
Der Meister fasste immer wieder zwischen Magdalenas Schenkel, seine Finger massierten kreisend ihr Lustorgan. Meine Gattin stand kurz vor dem Dammbruch, kein Zweifel! Ihre Knöchel traten weiß hervor. Sie bleckte die Zähne und streckte ihrem Peiniger willig die rote Kehrseite hin.
Der Orgasmus schüttelte sie in nie erlebter Intensität. Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß einen gellenden Schrei aus, überwältigt von Lust und Qual, war völlig von jeglicher Hemmung befreit.
Aus dem Publikum kam begeisterter Beifall. Erst ganz zuletzt gewährte der Meister sich selbst den Gipfel der sexuellen Ekstase. Mit einem Ächzen kam er in meiner Frau.
Ob sie mir jetzt noch immer gehörte? Wirkliche Zweifel nagten an mir. Und doch war ich seltsam erregt. Mein Glied schmerzte, so steif war es geworden.
Genüsslich reibend fuhr mir Lady Cassandras Hand über den Schritt. Zu überwältigt, um mich zu wehren, ließ ich es geschehen und entlud mich stöhnend unter der Berührung ihrer Finger.
Noch im selben Moment wurde mir klar: Jetzt kam das Finale, das ich gewollt und gefürchtet hatte.
»Als Mann bist du für Magdalena zu schwach!«, flüsterte mir die Lady ins Ohr. »Der Meister, der ihre Sehnsucht gestillt hat, nimmt sie nun in Besitz!«
Sie nahm die Hand von mir und ließ mich mit meiner Scham allein.
Der Meister zog sich abrupt aus Magdalena zurück. Das gebrauchte Kondom verschloss er mit einem Knoten, dann ließ er es achtlos fallen. Ein letztes Mal ging er zum Beutel und fischte einen Permanentmarker heraus.
»Bist Du bereit?«, fragte er Magdalena.
Sie nickte.
»Dann dreh dich um, Sklavin«, wies er sie an, »beug dich vor und präsentier’ das Gesäß!«
Ohne Zögern folgte sie seinem Befehl.
Er zog die Kappe des Permanentmarkers ab und schrieb meiner Frau seinen Namen wie einen Besitzanspruch auf den zitternden Hintern: Jacek.
Sicher, wir hatten das Spiel gemeinsam geplant, und doch war der Moment für mich wie ein Schock: Der Meister hatte mir rituell die Frau genommen. Das Publikum applaudierte im Stehen. Der Vorhang schloss sich.
Das Theater leerte sich schnell. Die Gäste gingen, ohne von mir weiter Notiz zu nehmen. Nur Lady Cassandra blieb sitzen. Es wurde still, und in der Stille legte sie ihren Arm um mich. Ich schluchzte. Vor meinem geistigen Auge stand noch immer der Name des Meisters, in Schwarz auf Magdalenas Haut geschrieben. Das Bild hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Wie aus großer Ferne hörte ich die Stimme der Lady: »Jannis, geht es dir gut?«
Ich lauschte in mich hinein, doch da war keine Antwort.
Meine Augen sahen und waren doch blind, meine Ohren hörten und waren gleichzeitig taub. Es fühlte sich an, als hätte ich mich im Nebel verirrt. Dieser Zustand hielt an. Wie lange genau, kann ich nicht sagen, denn mein Zeitgefühl verflüchtigte sich.
Die Realität kehrte nur langsam wieder. Zuerst registrierte ich Stimmen, dann Lichter und irgendwann wickelte jemand eine Decke um mich. Als ich aufsah, schaute ich in besorgte Gesichter. Ich befand mich noch immer im Schattentheater. Um mich herum standen Lady Cassandra, meine Frau und der Meister - jetzt ohne Maske. Magdalena hatte sich in einen Bademantel gehüllt. Sie beugte sich zu mir, ihre Hand lag auf meiner Wange.
»Komm zurück!«, flüsterte sie. Es klang ängstlich, fast flehend.
»Geh weg!«, stieß ich krächzend hervor, hob beide Hände zur Abwehr.
Erschrocken sah sie mich an.
»Jannis, bitte …«, stammelte sie, doch ich drehte den Kopf weg.
Sie fing an zu weinen.
»Gib ihm mehr Zeit«, bat Lady Cassandra und zog Magdalena mit sanfter Gewalt von mir fort. »Er ist noch nicht ganz wieder da.«
Als die beiden den Raum verließen, sah meine Gattin noch einmal über die Schulter zurück. Wohin sie gebracht wurde, wusste ich nicht.
Jetzt war ich mit dem Meister allein. Ohne die Maske war er nur Jacek, ein Mann mit grauen Schläfen und einem ernsten Gesicht.
Er nahm neben mir Platz. Keiner von uns beiden sagte etwas. Wir saßen einfach nur da, schweigend in einem Gewölbe voll verwirrender Schatten, bis ich die bleierne Stille nicht mehr ertrug.
»Was willst du?«, fragte ich irritiert. In mir stieg eine Wut auf, die ich selbst nicht begriff.
Er atmete tief aus, als müsse er einen inneren Druck abbauen, ehe er antworten konnte.
»Was ich will, ist nicht wichtig«, erwiderte er. »Jetzt zählt nur, was du brauchst, um wieder du selbst zu werden.«
»Ach, wirklich?«, gab ich bitter zurück. »Du beherrschst perfekt, was meiner Gattin Vergnügen bereitet. Vielleicht bliebe sie besser bei dir?«
Er reagierte betroffen: »Um Himmels Willen, Jannis! Es war nur ein Spiel! Ihr hattet doch alles mit Cassandra besprochen!«
Ich fühlte mich trotzdem verletzt, zog die Decke fester um meine Schultern und presste die Lippen zusammen.
Jacek betrachtete mich, als lese er meine Gefühle wie ein offenes Buch.
»Ich verstehe«, meinte er und schüttelte traurig den Kopf.
Das gab mir den Rest: »Du verstehst?«, brach es aus mir heraus. »Du verstehst gar nichts!«
Meine Stimme überschlug sich: »Deinen verfluchten Namen hast du auf ihren Körper geschrieben und willst jetzt so tun, als sei alles ein Spiel gewesen?«
Er schwieg, nahm meinen Zorn hin, wehrte sich nicht.
Ich war bereits lange verstummt, als er endlich anfing, wieder zu sprechen: »Magdalenas Herz gehört dir, niemandem sonst! Du allein hast die Macht, die Dinge wieder ins Lot zu bringen! Komm mit, Jannis. Bitte.«
Sein aufforderndes Lächeln war ehrlich, das konnte ich sehen. Ich kämpfte für einen Moment mit meinem verletzten Stolz. Dann streifte ich die Decke ab und folgte Jacek, hinaus aus den Schatten des leeren Theaters.
Durch einen schmalen Gang gelangten wir zur Tür einer Kammer. Jacek blieb stehen und klopfte kurz an. Als von drinnen jemand »Herein!« rief, traten wir ein.
Es war ein geräumiges Zimmer, groß genug für ein breites, gemütliches Bett, einen Schrank und eine Kommode. Eine Petroleumlampe hing von der Decke und verbreitete freundliches Licht. Auf der Bettkante saß Lady Cassandra und hielt tröstend Magdalena im Arm.
Meine Frau weinte noch immer. Überrascht sah sie auf, als ich mit Jacek hereinkam. Es tat mir weh, ihre Tränen zu sehen, und ich senkte den Blick.
»Jannis …«, hauchte sie, streckte die Hand nach mir aus.
Noch immer tobte in mir ein Streit der Gefühle. Der Schmerz meines gekränkten Stolzes rumorte in mir, gleichzeitig aber bereute ich die Feindseligkeit, mit der ich Magdalena begegnet war.
Hatten wir nicht im Vorfeld über alles gesprochen? Warum nur hatte es mich so hart getroffen, als Jacek seinen Namen auf ihre Kehrseite schrieb?
Die ehrliche Antwort war einfach: Ich hatte unsere Beziehung als selbstverständlich betrachtet und musste erkennen, dass sie es nicht war. Magdalena war frei, sich gegen mich zu entscheiden. Jederzeit.
Und doch tat sie es nicht. Im Gegenteil: Noch immer war ihre Hand ausgestreckt. Ich sehnte mich nach ihrer Berührung. Sollte ich meinen Stolz vergessen und die Geste erwidern?
Hilfesuchend sah ich zu Jacek.
Als er bestätigend nickte, ergriff ich die Hand meiner Frau, zog sie in meine Arme und küsste die Tränen von ihrem Gesicht.
»Willst du noch immer mein Mann sein?«, fragte sie ängstlich.
Jacek, der Meister, bemerkte mein Zögern und gab Antwort für mich: »Du wirst gleich wieder zu ihm gehören. Aber vorher bleibt noch etwas zu tun.«
Er ging zur Kommode, holte ein Tuch und ein Fläschchen heraus, tränkte den Stoff mit Flüssigkeit und reichte ihn mir. In meine Nase stieg der Geruch von Lösungsmittel.
»Entferne das falsche Siegel von ihrer Haut«, bat er mich. »Nimm zurück, was dir rechtmäßig gehört: Magdalena ist dein. Vergib mir meine Anmaßung.«
Ich nahm das Tuch, und Magdalena beugte sich über das Bett. Ihren Bademantel schob ich zur Seite, wischte behutsam die Schrift fort, wie das Morgenlicht einen finsteren Traum löscht. Dabei wich die Kälte der Angst aus meinem Herzen. Als wir einander umarmten, weinte auch ich, war endlich befreit.
Lady Cassandra und Jacek verließen uns still. Dieser Moment gehörte nur uns. Die Nacht verbrachten wir zu zweit in der Kammer, liebten uns, lachten und weinten.
Als der neue Tag kam, nahmen wir Abschied von Jacek, der Lady und der verborgenen Welt unter Wien.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte Cassandra.
»Vielleicht«, antwortete ich.
Magdalena schmiegte sich an mich und fügte eilig hinzu: »Eher nicht. Zu viel ist geschehen. Wir waren sehr nah an der Grenze.«
Jacek lächelte, reichte jedem von uns beiden die Hand. Zum Abschied küsste Cassandra meine Partnerin sanft auf die Stirn, fuhr mir mit den Fingerspitzen über die Wange.
Wir winkten ein letztes Mal, drehten uns um und kehrten zurück in die vertraute Welt unseres Alltags.
Das Schattentheater haben wir nie wieder besucht.
Vielleicht war das Gewölbe einmal ein Weinkeller gewesen oder eine Schatzkammer - ich wusste es nicht. Jetzt aber beherbergte es eine kleine Bühne mit nachtschwarzem Vorhang sowie gepolsterte Stühle für geschätzt zwanzig Gäste. Myriaden von Kerzen tauchten den Raum in ein mystisches Licht.
Ich saß in der Mitte der ersten Reihe, nur wenige Schritte von der Bühne entfernt.
Die Vorstellung musste in Kürze beginnen. Meine Gedanken kreisten um Magdalena. Was mochte sie fühlen in diesem Moment? Vorfreude oder Lampenfieber? Sie würde es mir nach dem Auftritt erzählen. Vielleicht.
Die Sitzplätze füllten sich mit Frauen und Männern in Abendgarderobe. Sie trugen seidene Augenmasken, passend zur Soirée. Von überall her war Gemurmel zu hören. Gespannte Erwartung lag in der Luft, denn nichts an diesem Ort war gewöhnlich, weder die Darsteller noch das Programm.
Dies war das Schattentheater, wo Fieberträume der Lust zum Leben erwachten und der Eintritt mit Mut bezahlt wurde. Denn nur wer selbst auf dieser Bühne gestanden hatte, war als Zuschauer willkommen.
Als Gatte Magdalenas war ich zwar geduldet, stand jedoch unter der Aufsicht von Lady Cassandra. Die Grande Dame des Etablissements saß direkt neben mir.
»Na, bist du schon aufgeregt, Jannis?«, fragte sie mich süffisant.
Eine rein rhetorische Frage! Selbstverständlich war ich nervös. Meine Ehefrau sollte gleich vor aller Augen von einem anderen Mann bestiegen werden. Ein erotisches Abenteuer - verabredet, einmalig und unverbindlich. Natürlich. Und doch: Nicht immer war jede Wendung vorherzusehen …
Mein Gesichtsausdruck musste mich verraten haben. Die Lady lächelte wissend.
»Jetzt schau nicht so!«, raunte sie mir ins Ohr. »Ich habe einen erfahrenen Meister für deine Gattin gewählt. Sie wird die Erfahrung genießen.«
Möglicherweise. Bei mir selbst war ich da weniger sicher. Magdalenas sexuelle Unterwerfung durch einen Dom war für mich bislang nur eine erotische Fantasie gewesen, ein prickelnder, sadomasochistischer Traum. Doch davon zu träumen, war etwas anderes, als es real zu erleben …
»Ich hoffe, er tut ihr nicht allzu weh«, gab ich gallig zurück. »Meine Frau ist mir lieb und teuer, Mylady!«
Die Antwort kam merklich pikiert: »Sie ist ein erwachsener Mensch, kennt das Safeword und entscheidet selbst, wie weit sie geht. Außerdem seid ihr freiwillig hier, oder?«
Ich schwieg, denn es war sinnlos, die Wahrheit zu leugnen: Wir hatten gemeinsam entschieden, hierher zu kommen.
Ein Gong beendete alle Gespräche im Raum.
Wenig später war Stille, nur kurz, aber dröhnend.
Und dann, unter Orgelklängen, wurde der Vorhang geöffnet.
Die Bühne erstrahlte in Rot. Zu meinem Erstaunen wies sie nur wenig Staffage auf: Dort oben stand ein hoher, vierbeiniger Hocker. Sonst nichts. Irgendwie hatte ich mehr erwartet.
»Ist das alles?«, flüsterte ich.
Lady Cassandra kicherte amüsiert. »Barhocker sind vielseitig verwendbar«, erwiderte sie, »lass dich überraschen …«
Ihr maliziöser Tonfall behagte mir nicht. Auch meine Lust auf Überraschungen hielt sich plötzlich in Grenzen. Ich bekam Gänsehaut von der düster-sakralen Musik: Die Härchen an meinen Armen richteten sich auf.
Während die letzten Orgeltöne verhallten, kam Bewegung ins Bild. Aus dem dunklen Zugang der Bühne trat ein wahrhafter Hüne hervor. Ein verstörender Anblick: Der Mann trug hohe Stiefel, einen Lendenschurz aus schwarzem Leder, dazu eine Henkersmaske mit Löchern für Augen und Mund. Tattoos bedeckten seinen Torso und die sehnigen Arme. Dicke Muskeln glänzten ölig im Licht. Er hatte einen großen Beutel dabei, den er auf den Boden legte. An einer Kette zog er Magdalena hinter sich her. Die stählernen Glieder waren um ihre Taille geschlungen und klirrten unter der Spannung.
Ich schluckte: Nur ein Büßerhemd bedeckte die Blöße meiner zierlichen Frau. Sie wirkte verletzlich darin. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit einem Seil zusammengebunden.
Trotz aller Absprachen fröstelte ich. Die Inszenierung wirkte schockierend echt!
»Stell dich dort hin, junges Fräulein!«, befahl der Meister und wies auf die Mitte der Bühne. Sein slawischer Akzent passte perfekt zur Rolle: männlich, hart, dominant.
Trotzdem widersetzte Magdalena sich ihm. Sie blieb stehen und drehte den Kopf weg.
War der Widerstand echt oder gespielt? Ich konnte nur spekulieren, denn ihre Miene zeigte keinerlei Regung.
»Gehorche!«, knirschte der Mann. In meinen Ohren klang seine Stimme wie polternde Steine. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Zögerlich beugte sich meine Gattin schließlich doch seinem Willen. War das wirklich ein Spiel? Mein Bauch und mein Kopf widersprachen einander.
Ich rutschte beunruhigt auf meinem Stuhl herum.
»Was auch immer geschieht«, ermahnte mich Lady Cassandra, »bleib ruhig und vertrau mir.«
Ich lächelte freudlos. Vertrauen? Leichter gesagt als getan: Der Meister hatte ein Messer aus dem Beutel genommen.
Als die Lady meine Furcht bemerkte, legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
»Ihr geschieht nichts«, versprach sie, »du hast mein Wort.«
Widerstrebend sank ich zurück in den Sitz.
Meine passive Rolle missfiel mir. Stand ich nicht abseits, am Rand des Geschehens?
Ich war frei zu gehen, doch ich blieb. Mein Voyeurismus verriet meinen Stolz.
Magdalena stand einfach nur da und starrte ins Leere. Weder regte sie sich, als der Meister die Kette von ihrer Taille löste, noch als er ihre gefesselten Hände befreite. Erst als er ihr Hemd der Länge nach aufschnitt, senkte sie demütig den Blick. Er setzte das Messer am unteren Saum an und zerteilte das Leinen bis zum Kragen hinauf. Der Stoff rutschte von ihren Schultern und glitt langsam zu Boden.
Da stand sie: nackt, ausgeliefert, ihr weißer Leib schön in seiner Verletzlichkeit. Aus dem Publikum vernahm ich bewundernde Laute.
Prüfend ging der Maskierte um sie herum, berührte ihren Hals, die Brüste und die Innenseiten der Schenkel. Sie atmete schwer, hielt die Augen geschlossen, die Lippen geöffnet. Ihre Brustwarzen, rosig und steif, zeugten von ihrer Erregung. Ich glaubte, sie leise seufzen zu hören.
Noch während ich Magdalena mit den Augen verschlang, langte der Hüne erneut in den Beutel. Das Messer verschwand. Zum Vorschein kam ein Sklavenhalsband, aus Leder gefertigt, mit einem stählernen Ring. Dominant griff der Mann meiner Frau in die rotblonde Mähne, bog ihren Kopf in den Nacken und legte ihr das Band um den Hals. Sie leistete keinen Widerstand, als er die Schnalle schloss.
Würde jemals das Safeword fallen? Diese heimliche Hoffnung erfüllte sich nicht. Ich begehrte Magdalena, sah sie vor mir und konnte sie doch nicht erreichen. Der Meister verwandelte sie vor meinen Augen in seine Sklavin.
Für den Bruchteil einer Sekunde streifte mich ihr Blick: Ein herausforderndes Lächeln huschte ihr übers Gesicht. Spielte sie mit meinen Gefühlen?
Der Meister stellte den Barhocker direkt vor sie hin.
»Bück dich, Sklavin!«, verlangte er barsch.
Magdalena gehorchte stumm, aber ich sah das Leuchten in ihren Augen, als sein Lendenschurz fiel. Ich wusste: Jetzt war es soweit!
Aus seinem Beutel holte er ein quadratisches Päckchen aus Plastik und riss es mit den Zähnen auf. Ohne Hast nahm er das Kondom heraus, rollte es über sein aufgerichtetes Glied und drang von hinten tief in meine Ehefrau ein. Ihre grünen Augen weiteten sich, ihr Atem ging rasch, ein lustvolles Stöhnen entwich ihren Lippen.
Ich wollte wegsehen, doch konnte es nicht. Sie schaute mir direkt ins Gesicht!
Aus dem Hintergrund setzte Musik ein. Zu einem treibenden, dunklen Rhythmus, der nach Schweiß und Begierde klang, nahm der Meister meine Gattin kraftvoll von hinten.
Er schonte sie nicht: Im Takt der dumpfen Bässe schlug er rechts und links auf das zuckende Fleisch ihrer Hinterbacken. Das Klatschen der Hiebe hallte durch das Gewölbe, und Magdalena schrie brünftig ihren Lustschmerz heraus. Mit jedem Mal wuchs meine Erregung. Ich war wie hypnotisiert. Wieso nur faszinierte mich diese Szene so sehr?
»Mir scheint, dir gefällt, was du siehst«, wisperte Lady Cassandra.
Mein Mund war zu trocken zum Sprechen.
»Lust und Leid verstärken einander, wenn sie verschmelzen«, erklärte sie weiter, »die kleine Stute braucht massive Reize, um zum Höhepunkt zu gelangen. Es gefällt ihr, hart geritten zu werden. Schau genau hin!«
Der Meister fasste immer wieder zwischen Magdalenas Schenkel, seine Finger massierten kreisend ihr Lustorgan. Meine Gattin stand kurz vor dem Dammbruch, kein Zweifel! Ihre Knöchel traten weiß hervor. Sie bleckte die Zähne und streckte ihrem Peiniger willig die rote Kehrseite hin.
Der Orgasmus schüttelte sie in nie erlebter Intensität. Sie warf den Kopf in den Nacken und stieß einen gellenden Schrei aus, überwältigt von Lust und Qual, war völlig von jeglicher Hemmung befreit.
Aus dem Publikum kam begeisterter Beifall. Erst ganz zuletzt gewährte der Meister sich selbst den Gipfel der sexuellen Ekstase. Mit einem Ächzen kam er in meiner Frau.
Ob sie mir jetzt noch immer gehörte? Wirkliche Zweifel nagten an mir. Und doch war ich seltsam erregt. Mein Glied schmerzte, so steif war es geworden.
Genüsslich reibend fuhr mir Lady Cassandras Hand über den Schritt. Zu überwältigt, um mich zu wehren, ließ ich es geschehen und entlud mich stöhnend unter der Berührung ihrer Finger.
Noch im selben Moment wurde mir klar: Jetzt kam das Finale, das ich gewollt und gefürchtet hatte.
»Als Mann bist du für Magdalena zu schwach!«, flüsterte mir die Lady ins Ohr. »Der Meister, der ihre Sehnsucht gestillt hat, nimmt sie nun in Besitz!«
Sie nahm die Hand von mir und ließ mich mit meiner Scham allein.
Der Meister zog sich abrupt aus Magdalena zurück. Das gebrauchte Kondom verschloss er mit einem Knoten, dann ließ er es achtlos fallen. Ein letztes Mal ging er zum Beutel und fischte einen Permanentmarker heraus.
»Bist Du bereit?«, fragte er Magdalena.
Sie nickte.
»Dann dreh dich um, Sklavin«, wies er sie an, »beug dich vor und präsentier’ das Gesäß!«
Ohne Zögern folgte sie seinem Befehl.
Er zog die Kappe des Permanentmarkers ab und schrieb meiner Frau seinen Namen wie einen Besitzanspruch auf den zitternden Hintern: Jacek.
Sicher, wir hatten das Spiel gemeinsam geplant, und doch war der Moment für mich wie ein Schock: Der Meister hatte mir rituell die Frau genommen. Das Publikum applaudierte im Stehen. Der Vorhang schloss sich.
Das Theater leerte sich schnell. Die Gäste gingen, ohne von mir weiter Notiz zu nehmen. Nur Lady Cassandra blieb sitzen. Es wurde still, und in der Stille legte sie ihren Arm um mich. Ich schluchzte. Vor meinem geistigen Auge stand noch immer der Name des Meisters, in Schwarz auf Magdalenas Haut geschrieben. Das Bild hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt.
Wie aus großer Ferne hörte ich die Stimme der Lady: »Jannis, geht es dir gut?«
Ich lauschte in mich hinein, doch da war keine Antwort.
Meine Augen sahen und waren doch blind, meine Ohren hörten und waren gleichzeitig taub. Es fühlte sich an, als hätte ich mich im Nebel verirrt. Dieser Zustand hielt an. Wie lange genau, kann ich nicht sagen, denn mein Zeitgefühl verflüchtigte sich.
Die Realität kehrte nur langsam wieder. Zuerst registrierte ich Stimmen, dann Lichter und irgendwann wickelte jemand eine Decke um mich. Als ich aufsah, schaute ich in besorgte Gesichter. Ich befand mich noch immer im Schattentheater. Um mich herum standen Lady Cassandra, meine Frau und der Meister - jetzt ohne Maske. Magdalena hatte sich in einen Bademantel gehüllt. Sie beugte sich zu mir, ihre Hand lag auf meiner Wange.
»Komm zurück!«, flüsterte sie. Es klang ängstlich, fast flehend.
»Geh weg!«, stieß ich krächzend hervor, hob beide Hände zur Abwehr.
Erschrocken sah sie mich an.
»Jannis, bitte …«, stammelte sie, doch ich drehte den Kopf weg.
Sie fing an zu weinen.
»Gib ihm mehr Zeit«, bat Lady Cassandra und zog Magdalena mit sanfter Gewalt von mir fort. »Er ist noch nicht ganz wieder da.«
Als die beiden den Raum verließen, sah meine Gattin noch einmal über die Schulter zurück. Wohin sie gebracht wurde, wusste ich nicht.
Jetzt war ich mit dem Meister allein. Ohne die Maske war er nur Jacek, ein Mann mit grauen Schläfen und einem ernsten Gesicht.
Er nahm neben mir Platz. Keiner von uns beiden sagte etwas. Wir saßen einfach nur da, schweigend in einem Gewölbe voll verwirrender Schatten, bis ich die bleierne Stille nicht mehr ertrug.
»Was willst du?«, fragte ich irritiert. In mir stieg eine Wut auf, die ich selbst nicht begriff.
Er atmete tief aus, als müsse er einen inneren Druck abbauen, ehe er antworten konnte.
»Was ich will, ist nicht wichtig«, erwiderte er. »Jetzt zählt nur, was du brauchst, um wieder du selbst zu werden.«
»Ach, wirklich?«, gab ich bitter zurück. »Du beherrschst perfekt, was meiner Gattin Vergnügen bereitet. Vielleicht bliebe sie besser bei dir?«
Er reagierte betroffen: »Um Himmels Willen, Jannis! Es war nur ein Spiel! Ihr hattet doch alles mit Cassandra besprochen!«
Ich fühlte mich trotzdem verletzt, zog die Decke fester um meine Schultern und presste die Lippen zusammen.
Jacek betrachtete mich, als lese er meine Gefühle wie ein offenes Buch.
»Ich verstehe«, meinte er und schüttelte traurig den Kopf.
Das gab mir den Rest: »Du verstehst?«, brach es aus mir heraus. »Du verstehst gar nichts!«
Meine Stimme überschlug sich: »Deinen verfluchten Namen hast du auf ihren Körper geschrieben und willst jetzt so tun, als sei alles ein Spiel gewesen?«
Er schwieg, nahm meinen Zorn hin, wehrte sich nicht.
Ich war bereits lange verstummt, als er endlich anfing, wieder zu sprechen: »Magdalenas Herz gehört dir, niemandem sonst! Du allein hast die Macht, die Dinge wieder ins Lot zu bringen! Komm mit, Jannis. Bitte.«
Sein aufforderndes Lächeln war ehrlich, das konnte ich sehen. Ich kämpfte für einen Moment mit meinem verletzten Stolz. Dann streifte ich die Decke ab und folgte Jacek, hinaus aus den Schatten des leeren Theaters.
Durch einen schmalen Gang gelangten wir zur Tür einer Kammer. Jacek blieb stehen und klopfte kurz an. Als von drinnen jemand »Herein!« rief, traten wir ein.
Es war ein geräumiges Zimmer, groß genug für ein breites, gemütliches Bett, einen Schrank und eine Kommode. Eine Petroleumlampe hing von der Decke und verbreitete freundliches Licht. Auf der Bettkante saß Lady Cassandra und hielt tröstend Magdalena im Arm.
Meine Frau weinte noch immer. Überrascht sah sie auf, als ich mit Jacek hereinkam. Es tat mir weh, ihre Tränen zu sehen, und ich senkte den Blick.
»Jannis …«, hauchte sie, streckte die Hand nach mir aus.
Noch immer tobte in mir ein Streit der Gefühle. Der Schmerz meines gekränkten Stolzes rumorte in mir, gleichzeitig aber bereute ich die Feindseligkeit, mit der ich Magdalena begegnet war.
Hatten wir nicht im Vorfeld über alles gesprochen? Warum nur hatte es mich so hart getroffen, als Jacek seinen Namen auf ihre Kehrseite schrieb?
Die ehrliche Antwort war einfach: Ich hatte unsere Beziehung als selbstverständlich betrachtet und musste erkennen, dass sie es nicht war. Magdalena war frei, sich gegen mich zu entscheiden. Jederzeit.
Und doch tat sie es nicht. Im Gegenteil: Noch immer war ihre Hand ausgestreckt. Ich sehnte mich nach ihrer Berührung. Sollte ich meinen Stolz vergessen und die Geste erwidern?
Hilfesuchend sah ich zu Jacek.
Als er bestätigend nickte, ergriff ich die Hand meiner Frau, zog sie in meine Arme und küsste die Tränen von ihrem Gesicht.
»Willst du noch immer mein Mann sein?«, fragte sie ängstlich.
Jacek, der Meister, bemerkte mein Zögern und gab Antwort für mich: »Du wirst gleich wieder zu ihm gehören. Aber vorher bleibt noch etwas zu tun.«
Er ging zur Kommode, holte ein Tuch und ein Fläschchen heraus, tränkte den Stoff mit Flüssigkeit und reichte ihn mir. In meine Nase stieg der Geruch von Lösungsmittel.
»Entferne das falsche Siegel von ihrer Haut«, bat er mich. »Nimm zurück, was dir rechtmäßig gehört: Magdalena ist dein. Vergib mir meine Anmaßung.«
Ich nahm das Tuch, und Magdalena beugte sich über das Bett. Ihren Bademantel schob ich zur Seite, wischte behutsam die Schrift fort, wie das Morgenlicht einen finsteren Traum löscht. Dabei wich die Kälte der Angst aus meinem Herzen. Als wir einander umarmten, weinte auch ich, war endlich befreit.
Lady Cassandra und Jacek verließen uns still. Dieser Moment gehörte nur uns. Die Nacht verbrachten wir zu zweit in der Kammer, liebten uns, lachten und weinten.
Als der neue Tag kam, nahmen wir Abschied von Jacek, der Lady und der verborgenen Welt unter Wien.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte Cassandra.
»Vielleicht«, antwortete ich.
Magdalena schmiegte sich an mich und fügte eilig hinzu: »Eher nicht. Zu viel ist geschehen. Wir waren sehr nah an der Grenze.«
Jacek lächelte, reichte jedem von uns beiden die Hand. Zum Abschied küsste Cassandra meine Partnerin sanft auf die Stirn, fuhr mir mit den Fingerspitzen über die Wange.
Wir winkten ein letztes Mal, drehten uns um und kehrten zurück in die vertraute Welt unseres Alltags.
Das Schattentheater haben wir nie wieder besucht.
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