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Der gelbe Punkt - Teil 13

5 von 5 Sternen
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Die Nachmittagssonne strahlte auf den mir entgegen rasenden Beton. Noch 43 Kilometer geradeaus verkündete das Navigationsgerät. 43 Kilometer und ein paar Steinwürfe trennten mich von meinem Ziel! Von Lisa.

Erste Dates empfand ich stets als sonderbar. So einige hatte ich durchlebt. Wenngleich als Spätstarter begonnen und stets besonnen selektiv: Die Masse kam so schleichend mit den Jahren, dass ich sie kaum als solche wahrnahm. Erfahrung, so könnte man meinen. Ich war mir nicht sicher, ob ein routiniertes Auftreten in dieser Hinsicht überhaupt erstrebenswert wäre. Und doch war an diesem Tag etwas anders.

Natürlich hatte ich mich vorbereitet. Mir meine Gedanken gemacht. Aber auf eine andere Weise! Das Differenzierende an diesem Tag war die Ruhe, in der alle meine Handlungen von statten gingen. Die Ruhe in meinem Kopf währenddessen. Der innere Frieden und die Stille. Klar wie Eiswasser! Das kannte ich nicht in dieser Form! Nicht in den zugleich quälend langsamen und quälend schnell vorbeirasenden Stunden vor einem Date!

Bei den bisherigen Dates übermannte mich stets zu einem gewissen Zeitpunkt meine Nervosität. Dann kam ganz leise ein Hauch von Angst. Angst vor Ablehnung. Vor einem Fehlschlag! Die meine zuvor bis ins kleinste Detail überdachten Pläne schweigsam unter sich begrub. Und ihnen auf einen Schlag ihre zuvor als totsicher eingestufte Erfolgswahrscheinlichkeit beraubte. Sie ersetzte durch innere Tiefstaplerei voller Bangen und Wanken! Dieser Moment war heute bisher ausgeblieben. Ich war mir meiner Sache noch immer sicher.

Vielleicht lag es daran, dass meine Gedanken im Vorfeld dieses Mal weniger akribisch waren. Ich hatte mich nicht hoffnungslos bis in jedes noch so kleine Detail verstrickt. Sondern mich endlich fokussiert. Auf das, was wirklich zählte. Die absoluten Basics. Alles andere würde schon folgen!

Das paradoxe an ersten Dates lag schon immer in ihrer Künstlichkeit: Sie werden als Vorwand genutzt, sich zu beschnuppern und besser kennenzulernen. Und doch zerbricht sich ein Großteil der Protagonisten zuvor stundenlang den Kopf. Über alles. Wirklich alles! Darüber, welche Hemdfarbe attraktiv macht. Welche Stimmlage erotisch wirken könnte. Und natürlich darüber, mit welchen Fakten und Geschichten man sich selbst am besten profilieren könnte. Das Ganze resultiert final zu einer perfekt inszenierten Fassade. Eine Fassade, die zugleich Mauer ist. Und auf peinliche Art und Weise versucht, die eigenen Schwächen zu überdecken. Sie versperrt den Zugang zu dem Selbst. Dem, worum es eigentlich gehen sollte, wenn man einander kennenlernt. Was bleibt, sind winzig kleine Dimensionen abseits des vermeintlich Vordergründigen. Unausgesprochenes zwischen den Zeilen. Es ging nie um das was. Nicht um Inhalt. Es ging um das wie. Um Nuancen. Gerüche und Blicke. Kleine Gesten. Nur so lässt sich die unerklärliche Magie zwischen Mann und Frau begründen. Was auch immer es genau bei den einzelnen ersten Dates war, es war nie das Offensichtliche! Inmitten jener Nischen spielte sich das Wesentliche ab!

***

Etwas verloren stand ich vor La Pomodoro, einem von außen recht klein und unscheinbar wir-kenden Italiener. Lisa hatte ihn herausgesucht, nachdem ich ihr angeboten hatte, die uns trennende Strecke zurückzulegen. Ich war zu früh! Etwas verlegen und nicht wirklich aufmerksam studierte ich die ausgehängte Speisekarte im Schaukasten neben der massiven Eingangstüre. Ich hasste Momente wie diese, in denen ich nichts so richtig mit mir anzufangen wusste. Momente, deren einziger Zweck es war, vorüber zu gehen. Womöglich war es doch ein Hauch Nervosität, der jenen Augenblick so unerträglich werden ließ.

Die zarten Berührungen einer Hand auf meiner Schulter ließen mich die schwarzen Buchstaben auf dem bereits leicht vergilbten Papier schlagartig vergessen. Ich drehte mich um und erblickte Lisa vor mir. Wir lächelten uns ebenso erfreut wie verlegen an. Dann begrüßten wir uns freundlich, gefolgt von einer etwas zögerlichen Umarmung. Ihr Duft ließ mich für einen Wimpernschlag die Augen schließen. Es war Genuss pur! Selbst blind würde ich sie jederzeit wiedererkennen, war ich mir sicher! Wenngleich meine Nase realistisch betrachtet wohl eher den Wiedererkennungswert ihres Parfüms auszeichnete.

Ich öffnete die schwere Türe und bat Lisa fast schon theatralisch charmant hinein. Es amüsierte sie sichtlich. Sofort sprang uns der Kellner entgegen. Wenngleich er kaum Augen für mich hatte. Vielmehr empfing er Lisa mit zwei Bussis auf ihre Wangen und faselte fortan mit inbrünstigem Italienisch auf sie ein. Ich verstand kein Wort. Selbst wenn ich je italienisch gelernt hätte, wäre es mir wohl kaum anders ergangen. Ob Lisa italienisch verstand? Das musste ich sie unbedingt fragen, merkte ich mir innerlich schon einmal vor. Schließlich beendete der Kellner endlich seinen wilden Monolog. Nicht ohne sich das „Amore“ zu sparen und mir dabei einige vielsagende Blicke zuzuwerfen. Ich mochte seine südländische Theatralik nicht. Er stahl mir die Show!

Umso schweigsamer führte er uns anschließend auf unsere reservierten Plätze. Die beinahe ausnahmslos leeren Tische inmitten des dunklen, kleinen Raumes legten nahe, dass eine Reservierung keinesfalls nötig gewesen wäre. Doch mir gefiel, dass Lisa offenbar nichts dem Zufall überlassen wollte. Der Kellner begleitete uns in den hinteren Teil des Raumes. Erst hier bemerkte ich den geräumigen Winterkarten, der sich voller Sitzgelegenheiten seitlich an dem hinteren Ende anschloss. Hier deutete der Italiener auf einen der Tische. Er war weit und breit der einzige als reserviert gekennzeichnete Tisch. Seine Genauigkeit in der Zuordnung unserer Plätze überraschte mich im Hinblick auf seine chaotisch wirkende Willkommensrede. Wir setzen uns einander gegenüber an den kleinen Tisch und bestellten unsere Getränke.

Noch waren wir nicht richtig warm miteinander geworden sondern verstrickten uns zunächst in Smalltalk über die Anfahrt, die Speisekarte und das heiße Sommerwetter an diesem Tag. Auch ihre Blicke blieben mir gegenüber zunächst auffallend schüchtern und zurückhaltend. Vielleicht verursachte der aufdringliche Kellner noch Unbehagen in ihr!

Wir bestellten unsere Getränke und bekamen dafür im Gegenzug die Speisekarten überreicht. Für einige unbehagliche Augenblicke verschwanden unsere Gesichter hinter dem in Leder gehüllten Papier. Das Geschriebene kam mir auffallend bekannt vor und so fiel es mir umso schwieriger, mich tatsächlich auf die Essensauswahl zu konzentrieren. Schließlich legte ich meine Speisekarte zurück auf den Tisch und schloss sie. Lisa blätterte nun noch einmal hektisch durch die Seiten. Als fühle sie sich von mir unter Druck gesetzt. Ich beobachtete dieses Schauspiel vorsichtig und genoss. Dann legte auch sie ihre Karte nieder.

Der Kellner brachte unsere Getränke und nahm unsere Bestellung auf. Wir stießen zusammen an. Zum ersten Mal an diesem Abend schienen ihre Augen die Schüchternheit abgelegt zu haben und blickten mich direkt an. Irgendwie passte es zu Lisa, dass eine gesellschaftliche Gepflogenheit sie stärker beeinflusste als ihre eigene Angst. Ich lächelte sie sanft an und wir nahmen einen ersten Schluck.

„Herr Weihrauch ist gestern wieder wie ein Rumpelstilzchen die Abteilung auf- und abgerast!“ initiierte Lisa ein Gespräch und grinste süffisant. Sie erzählte von dem neuerlichen Wutausbruch unseres Abteilungsleiters. Anscheinend neigte er dazu, in stressigen Situationen die Kontrolle zu verlieren. Unter den Kollegen war dies ein Dauerthema, wenngleich mir dieses Verhalten noch nie aufgefallen war. Dennoch musste ich lachen, als sie davon berichtete, wie er in Windeseile drei Treppenstufen auf einmal nehmen wollte und dabei seine halbe Hose mit seinem brühend heißen Kaffee übergoss. „Wenn Du da bist ist er so anders!“ sagte sie dann. Mein Gesicht rastete ein. Meine amüsiert nach oben gezogenen Mundwinkel sanken wie in Zeitlupe in eine ernstere Mimik ab. Ihr war das also auch aufgefallen? „Ich glaube, er hält ziemlich große Stücke auf Dich!“ resümierte sie schließlich.

In der Tat verhielt sich Herr Weihrauch mir gegenüber stets auffallend respektvoll und nahm sich jeden einzelnen meiner Vorschläge sehr zu Herzen. Bisher war ich davon ausgegangen, dass dies hauptsächlich seiner Persönlichkeit entsprach und nichts mit seiner Meinung über mich zu tun hatte. Zig Male hatte er mich zudem nach meinen Plänen nach dem Studium befragt. Doch ich hatte dies bisher rein als persönliches Interesse verstanden und nicht als Ausloten von beruflichen Optionen. Zum Glück hatte ich ihm mit meinen Aussagen zumindest keine Hoffnungen auf eine Weiterbeschäftigung gemacht! Wer weiß, womöglich hätte ich mich aus Höflichkeit loyaler ausgedrückt, wenn wir dieses Gespräch hier bereits früher geführt hätten! Ich blickte wieder zu Lisa hinüber. „Meine These dazu war bisher, dass er sich freitags bereits gedanklich im Wochenende befindet und montags noch ein wenig verkatert ist!“ Lisa lachte: „Das kann natürlich auch sein!“

Irgendwie löste das Gespräch über die Arbeit Unbehaglichkeit in mir aus. Ich wollte weg von diesem Thema! Natürlich waren wir Kollegen und hatten unser Treffen im Grunde genommen unserem gemeinsamen Arbeitgeber zu verdanken. Doch heute waren wir eindeutig nicht als Kollegen hier! Und doch mündete unser Gespräch unwillkürlich bei diesem Thema. Mir graute diesbezüglich schon vor dem richtigen Berufsleben. Wenn sich auch noch alle Verwandte und Bekannte einstimmig in diese Thematik einklinken würden, sobald ihnen kein anderes Thema mehr einfallen würde. Im Moment war ich in ihren Augen noch hauptsächlich Student, da fragte man zumindest weniger eingeschränkt. Ich vermochte es bisher, berufliches und privates zu trennen. Welche Position ich bis Feierabend hatte sollte in meinem Leben nicht beeinflussen, wie mich die Leute nach Feierabend sahen. Das wollte ich nicht!

Wir bekamen das Essen serviert. Die duftenden Teller vor unseren Nasen zogen vorerst unsere gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Wir wünschten uns einen guten Appetit und begannen zu essen. Im Gegensatz zur anfänglichen Schüchternheit war diese Form der Schweigsamkeit kein bisschen unbehaglich. Ich fragte mich, inwiefern mich gesellschaftliche Gepflogenheiten beeinflussten. Im Moment störte es mich jedenfalls nicht, dass man mit vollem Mund nicht reden sollte. Schon gar nicht über die Arbeit!

Je inaktiver unser verbaler Austausch wurde, umso aktiver wurden die Blicke, die beiderseits über die kleine quadratische Tischblatte hinweg flogen. Zunächst war ich es, der verträumt zu ihr hinüberschaute. Sie beim Essen zu beobachten brachte mich beinahe zum Weinen. Es war so süß, wie sie Stückchen für Stückchen vornehmst auf ihre Gabel lud und dann in aller Seelenruhe ihrem Mund entgegen führte.

Schließlich ertappte sie mich dabei, doch ließ sich davon kein bisschen beirren. Ihre blauen Augen sahen mich nur aufmerksam an. Nur zu kauen wagte sie es in dieser kurzen Zeitspanne nicht. Ich blickte wieder auf meinen Teller. Doch schon bald darauf, fing ihre Art meinen Blick erneut auf sich. Plötzlich schaute sie mir wieder für einen kurzen Blick in die Augen. Sie lächelte schüchtern dabei, was ihre ohnehin leicht länglichen Augen noch mehr in die Breite zu ziehen schien. Einzig dezente Wimperntusche und ein Hauch Kajal zierten ihre meerblauen Augen. Es kribbelte! Dann neigte sie ihren Kopf wieder leicht zur Seite, eine dünne blonde Strähne fiel in ihr Gesicht, während sich ihr Blick wieder ihrer Gabel zuwandte. Einzig das süße Lächeln hallte noch einige Augenblicke in ihrem Gesicht nach. „Wie hübsch sie ist?“ fragte ich mich und wandte mich meinerseits wieder meinem Essen zu. Noch einige Male trafen sich unsere Blicke während des Essens. Einige erweckten den Eindruck, dass uns beiden im nächsten Moment ein platzendes Lachen entweichen würde. Andere dagegen steck-ten voll mit ernster Sinnlichkeit. Als säßen wir uns in diesem Moment gänzlich nackt gegenüber.

Wir schienen beide nicht genug davon zu bekommen, uns schlemmend gegenüberzusitzen und einander in die Augen zu blicken, und so bestellten wir beide noch ein Dessert. Lisa fragte mich nach meiner Wohnsituation und wollte nun eindeutig mehr über mein Leben in Erfahrung bringen. Ich erzählte ihr ausschweifend von der WG, von Adnan und von Isabelle! Lisa hörte aufmerksam zu. Ihr Blick ähnelte dem während des Essens. Ich wollte gar nicht mehr aufhören zu erzählen! Erst Francesco stoppte meinen Fluss jäh, indem er uns den Nachtisch servierte. Wir kosteten ihn genüsslich aus. In jeder Hinsicht! Schließlich bat ich um die Rechnung.

Nun bereute ich es zum ersten Mal an diesem Abend, mich nicht hinlänglich vorbereitet zu haben. Sollte ich alles bezahlen? Mein Bauch sagte ja. Doch mein Kopf legte seine Skepsis nicht so einfach ab. Inzwischen empfanden es nicht wenige Frauen als Beleidigung, wenn der Mann die Rechnung zahlte. Als bezwecke er nichts weiter damit, als ihr zu signalisieren, dass sie nicht alleine für sich sorgen könne und auf die Gunst des Mannes angewiesen sei. Sicherlich kam dieser Brauch aus einer Zeit, in der diese Argumentation wirklich ihre Berechtigung hatte. Doch diese Zeit war für mein Empfinden schon lange vorbei. Der Brauch an sich war geblieben. Nur die Bedeutung war nicht mehr die Selbe. Zumindest sah ich das so. Ich sah darin nicht mehr als eine Wertschätzung, die zugleich signalisieren sollte, dass mir meine Manieren im Umgang mit ihr wichtig sind. Weil sie mir wichtig ist. Wenn ich sie mit meinem Geldbeutel hätte beeindrucken wollen, wäre ich wohl eher mit einem geliehenen Sportwagen vorgefahren. Gedankenversunken bemerkte ich kaum, dass der Kellner längst vor uns stand. Kurzentschlossen zahlte ich die gesamte Rechnung und legte noch ein großzügiges Trinkgeld drauf.

Francesco bedankte sich theatralisch, steckte das Geld ein und hatte fortan wieder nur Augen für Lisa. Er ergriff ihre Hand und half ihr aufzustehen. Auch eine Form, seine Manieren zu zeigen, dachte ich mir! Doch irgendwie widerte es mich an. Ich versuchte dem ganzen keine große Beachtung zu schenken und wartete, bis die beiden sich verabschiedet hatten. Seite an Seite verließen Lisa und ich schließlich das Restaurant.

Für einen kurzen Moment standen wir etwas orientierungslos vor dem Eingang. Es war das zweite Mal an diesem Abend, dass ich mich über meine mangelnde Vorbereitung ärgerte. Wie sollte es nur weitergehen? Ich hatte keinen Plan!

Schließlich liefen wir ein paar Meter die Straße entlang, und ließen uns dann auf einer Parkbank nieder. Hier erzählte mir nun auch Lisa etwas detaillierter aus ihrem Leben. Sie berichtete von ihrer kleinen Single-Wohnung in unmittelbarer Nähe zu ihrer Eltern, die sie erst vor wenigen Monaten in ihrem wenige hundert Einwohner zählenden Heimatdörfchen bezogen hatte. Sie sprach über ihre Familie und Freunde, die offenbar hauptsächlich aus der Dorfgemeinschaft, so wie sie es nannte, bestand. Lisa machte einen sehr heimatverbundenen Eindruck auf mich, was mich zugleich faszinierte als auch überraschte. Zwar passte diese Charaktereigenschaft wirklich gut zu ihr, doch andererseits gab es wohl nur wenige Frauen in ihrem Alter, die so tickten und dies zudem noch bereitwillig an einem ersten Date von sich preisgaben. Ich fragte mich unweigerlich, was für ein Typ Mensch ich in dieser Hinsicht war. Irgendwie fiel mir auf die Schnelle keine passende Charakterisierung ein. Stadt oder Land? Ich bevorzugte beides! Einzig die Vorstellung, ein ganzes Leben an nur einem einzigen Ort zu verbringen schreckte mich ein wenig ab.

Noch eine ganze Weile saßen wir nebeneinander auf der Bank und erzählten uns gegenseitig Geschichten aus unserem Leben. Sprachen über Ansichten, Werte und Träume. Es war, als würden unsere Gespräche von Minute zu Minute tiefgründiger werden. Zumindest stellte es all die Banalitäten, die wir zuvor im Restaurant gesprochen hatten, bei Weitem in den Schatten.

Irgendwann saßen wir nur noch schweigend Arm in Arm da. Im Verlaufe der Zeit war ich unmerklich immer näher an sie herangerückt. Ich hatte es selbst kaum wahrgenommen. Als wäre es Magie! Ich vermutete, es mussten die innigen Gespräche zwischen uns sein, die das so mit sich brachten. Erst als ich mir darüber klar wurde, wie nah ich ihr bereits war hatte ich ihr dann ganz bewusst meinen Arm um ihre Schulter gelegt und sie noch ein Stückchen näher zu mir gezogen.

Nun lag sie mir im Arm und schmiegte ihren Kopf sanft an meine Schulter. In Filmen wäre dies ohne Frage der Moment gewesen, in dem man die Schatten unser aneinander gelehnten Körper auf der Parkbank vor der orangeroten untergehenden Sonne gezeigt hätte. Es schien Zeit zu sein für den Abspann! Doch es war kein Film. Und der traumhafte Sonnenuntergang entsprach in unserem Fall nur einer wenig befahrenen Landstraße inmitten der kleinen Ort-schaft.

„Wann musst Du morgen raus?“. Ich war derjenige, der die Stille zwischen uns beendete. „Es geht!“ entgegnete Lisa mir nur vage, während ich vorsichtig meinen Arm um sie löste und ihr ein freundliches Lächeln schenkte. ‚Es geht? Was war das für eine Aussage?‘ hallte es in meinem Kopf nach. Erst ihre strahlend blauen Augen brachten meine Gedanken wieder zum Schweigen. Sie sah glücklich aus! Wie sie mir so in die Augen schaute, verspürte ich kurz den Drang sie zu küssen. Doch ich tat es nicht. Irgendetwas hinderte mich daran. Vielleicht hatte ich die Situation zu spät wahrgenommen und den richtigen Moment bereits verpasst. Stattdessen drückte ich ihr nun kurzentschlossen meine auf die Wange. Das Bussi schien mich selbst mehr zu überraschen als sie. Zumindest wusste ich für einen Moment lang nicht, wie ich mich danach verhalten sollte. Irgendwie schien ich sie nur noch anzustarren. Sie drehte den Kopf wieder zu mir und lächelte sanft aber machte keine weiteren Anzeichen. Mein Kopf raste. War das etwa schon zu viel für sie? Hatte ich sie bereits überrumpelt? Ich bereute meine unüberlegte Tat, auch wenn ich entschlossen war, mir dies nicht anmerken zu lassen. Nun ergriff ich ihre Hand und erhob mich von der Bank. Wie zuvor der Kellner im Restaurant half ich ihr übertrieben theatralisch auf und ahmte dabei Francesco, wie ich den Kellner für mich getauft hatte, nach. Lisa lachte amüsiert und stupfte mich in die Seite. Langsam schlenderten wir so händchenhaltend unseren Autos entgegen. Mit einer langen Umarmung verabschiedeten wir uns schließlich voneinander. Glücklicherweise würden wir uns ja schon bald wiedersehen! Wenn auch auf der Arbeit!

***

Zufrieden schritt ich durch den einsamen Hausflur. Es schien, als lägen sämtliche Bewohner des Hauses bereits friedlich in ihren Betten und träumten von ihren Erlebnissen dieses wunderbaren Tages. Ich empfand diese Ruhe als unbeschwerte Stille. Als habe sich der Abend über all die kleinen und großen Sorgen gelegt, die die Menschen tagsüber so quälten. Wahrscheinlich war es nicht so. Mich verfolgten meine Sorgen schließlich auch bevorzugt nachts im Bett. Doch die Stille in dem ansonsten so lebhaften Gebäude hatte zweifelsfrei etwas Friedvolles an sich.

Erst als ich der Eingangstür unserer WG näher kam, vernahm ich ein leises Winseln. Es verstummte augenblicklich wieder und so lief ich unbeeindruckt weiter auf die Tür zu. Dann ertönte das Geräusch erneut. Ich blieb stehen und lauschte aufmerksam. Nur noch wenige Meter trennten mich vor der Tür. Den Schlüssel hielt ich längst in meiner Hand.

Ein sanftes Ratschen war nun von der anderen Seite der Tür zu vernehmen, als rutschte jemand das glatte Holz hinab. Mein Puls stieg. Was war das? Musste ich mir Sorgen machen? Panik stieg in mir auf. War Adnan zusammengebrochen? Brauchte er Hilfe? Meine Gedanken spielten verrückt, nur meine Beine blieben wie gelähmt. Ein lusterfülltes weibliches Seufzen beruhigte meine Aufregung. Das Ratschen wurde schneller und wilder. Wie im Takt dazu bäumte sich auch das Seufzen immer intensiver auf, bis es schließlich in einem hemmungslosen Stöhnen mündete. Es war eindeutig Isabelle, die dort die friedvolle Stille in die Flucht schrie!

Hilflos blieb ich vor der Türe stehen und hoffte lauschend, dass keiner unserer Nachbarn jetzt seine Wohnung verlassen möge. Erst nach einer ganzen Weile erloschen die lustvollen Laute fast abrupt. Auch das Ratschen war nicht mehr zu hören. Ich trat noch dichter an die Tür heran und presste meine Ohrmuschel an das glatte Holz der unbefleckten Seite. Es schien absolute Stille zu herrschen. Waren sie fertig? fragte ich mich. Oder lagen sie womöglich nackt und erschöpft auf Boden und genossen nun auch die friedliche Stille? Ich wollte sie in diesem Zustand nicht sehen. Nicht in diesem Moment! Ich wartete weiter und achtete auf jeden noch so kleinen Laut. „Jaa! Jaaa! Jaaaaaah!“ ertöhnte schließlich tatsächlich Isabelles Stöhnen wieder, wenn nun auch gedämpft aus weiter Ferne.

Vorsichtig steckte ich den Schlüssel in das Schloss und öffnete die Tür. Der Flur dahinter war in Dunkelheit gehüllt und ich konnte keine Nuance erkennen. Meine Augen waren noch nicht daran gewöhnt. Doch das Stöhnen schien aus einem der anderen Zimmer zu kommen und so trat ich ein und schloss leise die Tür.

Die pheromongesättigte schwüle Luft im Flur offenbarte ihre ganze Sinnlichkeit. Es roch nach Leidenschaft. Nach Sex!

Es dauerte nicht lange, bis das Stöhnen erneut einsetzte. Lauter, als man es noch durch die geschlossene Tür erahnen konnte. Ich erschrak. Es klang nun nicht mehr dumpf. Und keinesfalls weit entfernt. Es schien, als stünde sie direkt vor mir.

Allmählich gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Von Adnan und Isabelle war keine Spur. Ich zog mir leise meine Schuhe aus und schlich über die zu Boden gerissenen Jacken und Kleidungsstücke in Richtung meines Zimmers.

Die Tür zum Wohnzimmer stand eine handbreit offen. Darin zwei Gestalten, die mich augenblicklich erstarren ließen. Es waren Adnan und Isabelle.

Die Silhouetten ihrer nackten Körper waren vor dem gedimmten Licht der gegenüberliegenden Standlampe klar zu erkennen. Wie zwei ineinander verkeilte Schatten, die verzweifelt versuchten sich voneinander zu lösen. Doch sie klebten an ihrer Mitte eng aneinander.

Ich schlich weiter in der Hoffnung unentdeckt zu entkommen. Wartete geduldig auf Isabelles nächstes Fortissimo. Um schließlich in ihrem Schutz hinter meiner Zimmertüre zu verschwinden.

Erleichtert stand ich noch eine Weile mit dem Rücken an der Tür und lauschte den Geräu-schen im Nebenzimmer und meinem allmählich abklingenden Atem. Dann ließ ich mich ins Bett fallen. Meine Augen fielen zu. Irgendwie fühlte ich mich fremd in der eigenen WG. War Lisa meine Heimat? Ich schlief ein…


Fortsetzung folgt...

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  • Geschrieben von JohnDoe
  • Veröffentlicht am 14.03.2019
  • Gelesen: 8147 mal
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Kommentare

  • Blackraven7815.03.2019 09:12

    Profilbild von Blackraven78

    Lieber John,

    wunderschön und in allen Nuancen beschrieben. Wie Du Lisa während des Essens beschreibst, finde ich hohe Kunst. Voller Liebe. Die Unsicherheit auf der Parkbank. Der Respekt. Einfach schön und rhetorisch auf den Punkt.

    5 Sterne von mir.

    Liebe Grüße

    Blackraven78

  • JohnDoe20.03.2019 16:42

    Profilbild von JohnDoe

    Liebe Mrs. Zuverlässig,

    schön, dass Du dem gelben Punkt noch immer treu geblieben bist. ;) Ich danke Dir für deine lieben Worte und die vielen Sterne und hoffe, bald von Dir zu lesen.

    Liebe Grüße,
    John

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