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Die Lüge von Yin und Yang: Das Geheimnis der Mutte

5 von 5 Sternen
Hell erklingt im Wind das Glöckchen der Sehnsucht,
dunkel trommeln Wassertropfen auf hohlen Bambus.
Allein der herbe Geschmack der Heimat erweckt in der chinesischen Dirne orgastische Freuden.
(Ling Naidong, Edelkurtisane, frühes 19. Jh., Pseudozitat)

Auf einer Dachterrasse in Suzhou sitzt sich unter dem grünen Blätterdach zweier Bananenstauden ein chinesisches Ehepaar an einem Gartentisch aus poliertem Bambusholz gegenüber. Die Abendhitze ist unerträglich. Tropisch schwül und drückend. Die Chinesin fächelt sich hektisch Luft zu. Der Chinese hat sein hellgraues Leinenhemd über dem Bauch aufgerollt. So sitzt er mit nacktem Schmierbauch und erhofft sich davon Kühlung. Sie ist nicht mehr jung, er ist noch älter. Seit Jahren gilt sie nicht mehr als schön, er war immer hässlich. Aber er hatte damals schon Geld. Nun ist er reich. In China leben sie im Luxus.
Da war keine Liebe, die das Paar zueinander geführt hätte. Es war die Vermittlung durch eine Verwandte der Frau, die den Nachbarn des Vaters des Manns über ihren Studienzirkel kommunistischer Schriften kannte. Schlagartig öffnete diese schicksalhafte Bekanntschaft den beiden Patriarchen die Augen. Endlich erkannten die Familien, dass auf ihren pockennarbigen, durch eine späte Mumpserkrankung impotenten, ledigen Sohn längst eine unverheiratete Tochter aus gutem Haus mit einwandfreier Parteigesinnung wartete. Yin Senior entschied, dass Fräulein Liu gut in die Familie passte. Der Sohn war mit seinen 32 Jahren ohnehin längst überfällig, was das Heiraten betraf. Noch länger konnten sie ihm keine Schonfrist gewähren. Die Familie wollte Enkelkinder sehen. Sein wütender Protest, dass Fräulein Liu bloße fünf Jahre jünger war als er und daher sicherlich keine Jungfrau mehr, stieß auf taube Ohren. Vielleicht war sie wirklich fünf Jahre jünger als ihr Gatte und damit zu alt für ihn, doch im Vergleich zu ihrem Schwiegervater war sie 30 Jahre jünger. Das war in Herrn Yins Augen ein angemessener Altersunterschied. Der Schwiegervater war immer noch ein sexuell aktiver Mann. Die verantwortungsvolle Aufgabe, seine männlichen Bedürfnisse zu stillen, teilten sich seine zweite Ehefrau, ein junges Hausmädchen, dessen noch jüngere, mental retardierte Schwester und bald die neue Schwiegertochter. In China war es alte Tradition, dass sich ein Mann von Rang und Bedeutung junge Konkubinen nahm. Auch die Kommunisten fanden nichts Anstößiges daran.
An einem schwülen Sommerabend, fast so drückend heiß wie der heutige Abend, ließ Herr Yin Senior zum ersten Mal das arglose Fräulein Liu unter einem leicht durchschaubaren Vorwand zu sich in seine Gemächer rufen. Hinterher hätte er seinen Sohn beruhigen können, wenn er es gewollt hätte: Sie war Jungfrau gewesen. Es hatte den alten Herrn um seines Sohnes willen sehr erfreut.
Von dem Zeitpunkt an, als Fräulein Liu jenen Ort ihres schweren Traumas in den frühen Morgenstunden wieder verließ, konnte sie keine Liebe mehr für ihren oder zu einem Mann empfinden, noch wollte sie dieses Gefühl erlernen. Es gab andere Gefühle, die ein harmonisches Zusammenleben mit eher harmlosen Eunuchen ermöglichten. Eheglück beruhte in China selten auf Liebe. Mit der Zeit gewöhnten sich Ehemann und Ehefrau aneinander und lernten einander mit allen Schwächen und Fehlern zu akzeptieren. Das war gut. Solche Ehen hatten langen Bestand. Was ihren zudringlichen Schwiegervater betraf, tötete Fräulein Liu jegliches Gefühl in sich ab. Chinesinnen hatten es seit drei Jahrtausenden verstanden, inneres Leid still zu ertragen. Einer traditionellen Frau fiel es nicht ein, sich zu beklagen. Sie riskierte, ihr Gesicht zu verlieren und die eigene Familie zu beschämen. Glücklicherweise trug der tödliche Schlaganfall des alten Herrn entschieden zu einer entspannteren Atmosphäre und mehr häuslichem Glück bei. Außerdem gab es bald eine Tochter, sechs Monate nach dem Tod ihres Großvaters geboren, die das Ehepaar in nie gefühlter Zuneigung verband. Alle liebten die kleine Fu: Baba und Mama, beide Großmütter der Yin-Linie (sowohl die verstoßene erste Frau des alten Yin − leibliche Mutter von Yin Junior und seiner verstoßenen jüngeren Schwester − als auch die zweite Frau des alten Yin – von deren sanften Charakter und liebender Fürsorge sich die junge Familie nicht trennen wollte) und ganz besonders Fräulein Lius Eltern, die es schnell bereut hatten, ihre geliebte Tochter an den Meistbietenden verkauft zu haben. Die Yin-Familie gehörte nicht wirklich zum guten Ton. Das wussten sie vom Nachbarn der Yin, den das Schicksal einst mit einer Verwandten der Liu bekannt gemacht hatte. Genau dieser Nachbar hatte nämlich, als er sich nachts in seinem Garten erleichterte, gegen seinen Willen beobachtet, wie im Nachbargarten der alte Herr Yin Geschlechtsverkehr mit zwei jungen Frauen praktizierte. Auf der nackten Erde. Im halbdunklen Schoß von Mutter Natur. Vor allem nicht auf die übliche Weise, die der einfache Genosse aus zensierten Hollywood-Filmen kannte.
Himmel! Das. War. Pervers.
Großer Vorsitzender, beschütze mich, murmelte Genosse Nachbar erschrocken und riss die Augen weit auf. Der Schock machte es unmöglich, sich hastig zu entfernen. Der arme Mann schnappte krampfhaft nach Luft wie ein Fisch an Land.
Dieser Herr Yin verstand sich offensichtlich auf die dunklen Künste der Taoisten, deren Elixiere seinen langen dicken Penis in einem unlimitierten Dauerfeuer explodieren ließen. Es hätte noch eine dritte Frau gebraucht, um die armen Dirnen nicht restlos mit seiner Manneskraft zu erschöpfen. Es war schlimm. Ganz furchtbar. Der Nachbar hätte gern seinen einsamen Beobachtungsposten verlassen, doch der Schock lähmte ihn. Er stand im Bann des obszönen Herrn Yin.
So. Viel. Geilheit. Inspirierte.
Der Mann auf der Gartenmauer suchte in seiner Hose verzweifelt nach festem Halt, um nicht abzurutschen. Am liebsten hätte er die Augen abgewendet oder sie wenigstens fest geschlossen. Das ging nicht. Kein Detail durfte im Protokoll fehlen. Es war seine Pflicht, später Meldung zu erstatten, wo triebhafte Kräfte umgingen. Inmitten heiseren Keuchens, enthemmten Stöhnens und lustvoller Schreie kam dem Genossen ein schöner Gedanke. Er lächelte beglückt. Auf der nächsten Versammlung würde das Nachbarschaftskomitee seinen Beitrag zur Bewahrung von Sitte und Anstand in chinesischen Hintergärten sicherlich lobend erwähnen. Er würde seiner Familie Ehre bringen. Daher zwang sich der Nachbar genau hinzusehen, während er mit wild klopfendem Herzen seine Standhaftigkeit erfühlte. Kopfschüttelnd notierte der Genosse in Gedanken, wie Kehlen krampfhaft schluckten. Empört bemerkte er, wie Vaginen vom ****** überflossen. Er war frustriert, als heiße Analpenetrationen die Hündinnen winseln ließen. Wenn die eine nicht mehr konnte, sprang Herr Yin die andere mit seiner Dauererektion an.
Wie wunderlich! Keine entzog sich der Wucht der Angriffe. Vielmehr begehrten die Frauen den segenspendenden Regen. Sie wollten sein Kind. Zwei ausgezeichnete F*tzen hatte sich der alte Herr für die Orgie erwählt. Mit einem feinen Lächeln dankte der Nachbar dem Großen Vorsitzenden, in dieser Nacht für hellen Vollmond gesorgt zu haben. So würde der Genosse später alles gut berichten können. Was der Mann auf der Mauer sehen musste und wollte, nämlich den Kampf zwischen weiblichen und männlichem Geschlechtsteil*en (ihr Yin gegen sein Yang) sah er ganz genau. Im Detail. Jedes Schamhaar stand gestochen scharf stramm. Himmel! Was waren das für würdelose Hündinnen, die sich von einem alten Mann so durchf*cken ließen, befand ein respektabler Nachbar. So jung und schon so schamlos verdorben. Die trieben es sicher mit jedem. Oder? Sobald der alte Mann genug von ihnen hatte, wollte ein jüngerer gern seinen Teil in ihren fruchtbaren Genpool spr*tzen. Es sollte auf jeden Fall kommunistisch geteilt werden! Das würde Yins bourgeoises Abenteuer in den Augen der Kritiker akzeptabler machen. Vielleicht kam Herr Yin mit einer Verwarnung und die Frauen mit je einem halben Jahr Arbeitslager davon. Ob sich der kleine Zhang wohl traute, die entkräfteten Dirnen später anzusprechen und ihnen seine bescheidenen Wünsche klarzumachen? Manchmal fiel es seltsam schwer, selbstlos Nachbarschaftshilfe anzubieten.
Am nächsten Morgen hatte der Nachbar unverzüglich der Verwandten aus der Liu-Familie Meldung erstattet. (Seit dem Morgengrauen grollte der Genosse dem alten Yin, da er selbst zu feige gewesen war, sich an der Orgie zu beteiligen.) Seine Sorge war allerdings nicht gespielt. Nicht auszudenken, was die öffentliche Zurschaustellung des skandalösen Sittenverfalls im Hause Yin in einer jungen Frau auszulösen vermochte, wenn sie vom Vollmond aufgestört zufällig aus einem Fenster blickt und den nackten Schwiegervater im Garten bei Sodom und Gomorrha entdeckt. Nicht auszudenken, welche Gedanken die besorgten Eltern belastet hätten, hätten sie gewusst, dass sich die Tochter nicht am Fenster, sondern im Garten befunden hatte.
Doch auch diese Nacht − drei Monate vor dem Tod des alten Herrn Yin − hatte einen grauen Morgen gekannt, an dem sich zwei Chinesinnen verschämt ins Haus zurückschlichen, während ein älterer Herr mit wohliger Erschöpfung im Gartenpavillon einschlief. Friedlich und harmonisch lebten die Yins für weitere zehntausend Jahre − wan sui!

Die ersten zweieinhalb Jahre ihrer Ehe hatte Frau Liu, Gemahlin des Münzhändlers Yin, erfolgreich aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Auch hatte man das junge schwangere Hausmädchen entlassen, um zwei neue einzustellen. Der Pavillon war abgerissen worden. Auf diese Weise erinnerte nichts mehr an die außerehelichen Eskapaden des Herrn Yin Senior. Hier in Suzhou verlebten sie achtzehn glückliche Jahre, bis zum heutigen Tag.
Die vietnamesische Haushälterin, Frau Vuong, hat den Herrschaften kurz zuvor lauwarmes Wasser und eine Schale Sonnenblumenkerne zur Erfrischung gebracht. Nun greift die Frau des Münzhändlers zum halbvollen Steinkrug, um erst ihrem Mann, dann sich selbst ein Glas einzuschenken. Als sie ihm das Glas reicht, dankt er ihr mit einem flüchtigen Nicken. Sie starren wieder von ihrer Terrasse in die Ferne. Die Eheleute genießen den Ausblick. Plötzlich spricht der Mann. Er blickt die Frau dabei nicht an.
„Ng. Ich meine, es ist ein großes Unglück, dass unsere Tochter ihr Abitur (gaokao) nicht bestanden hat. Ich habe mich heute vor meinen Geschäftsfreunden geschämt und daher für sie gelogen. Ich sagte, sie hätte bestanden, und zwar sehr gut. Einer von den kleinen Fischen hat so komisch geguckt. Er schien mir nicht zu glauben, was eine unverschämte Frechheit ist. Aber er ist unbedeutend. Notfalls schüchtern wir ihn so lange ein, bis er seine widerlichen Lügen widerruft. − Ooooo, wie konnte meine süße kleine Puppe uns nur diesen Gesichtsverlust zufügen? Warum nimmt Fu keine Rücksicht auf die Gefühle ihres alten Väterchens? Ich leide wie ein Hund.“
Ihre Augen sind starr auf die diesige Ferne gerichtet, während sie ihm antwortet.
„Ach herrje! Hör doch, was ich zu sagen habe: Es ist nicht Fus Schuld. Schuld sind diese jungen, dummen, unfähigen Nachhilfelehrer, die ihr Geld nicht wert sind. Eigentlich ist Fu sehr klug. Man muss es ihr nur richtig erklären. Ich meine, sie hätte bei besseren Lehrern mit Leichtigkeit bestehen können.“
Ihre naiven Worte reizen den Vater zu einem Wutanfall. Noch immer vermeidet er den Blickkontakt, während seine Faust auf die Bambustischplatte saust.
„Unsinn! Sie hätte ihre Nachhilfelehrer besser nicht verführen, sondern von ihnen lernen sollen. Das habe ich dir von Anfang an gesagt, Frau! Ich wollte diesen Schönling nie im Haus. Diesen Studenten Zhao oder Zheng oder Zhu oder wie auch immer er hieß. Ich habe dir gleich gesagt, dass mir sein arrogantes Lächeln nicht gefällt, Frau! Ich habe dir gesagt, dass der etwas im Schilde führt. Als ich ihn später mit heruntergelassenen Hosen erwischte, wurde mir schlagartig einiges klar.“
Die Erinnerung macht den Chinesen so wütend, dass er eine kurze Weile nicht weitersprechen kann. Währenddessen schweigt seine Frau geduldig, um ihn nicht durch eine unüberlegte Äußerung noch zusätzlich zu verärgern. Sie hat ihre Hände im Schoß gefaltet und starrt auf ihre Finger, deren Fingernägel so außergewöhnlich lang sind.
„Es war eine unverschämte Frechheit von ihm, mir gegenüber zu behaupten, dass er nur dringend urinieren hätte müssen. Im Zimmer unserer Tochter? Wer soll denn das glauben? Wenn ich im Restaurant dringend muss, uriniere ich auch nicht in aller Öffentlichkeit in die Blumendekoration. Die Leute würden sich sehr über mich wundern.“
Sie nickt. Doch sie muss ihm widersprechen.
„Das ist wohl wahr. Aber seitdem er sie unterrichtete, hat ihr das Lernen doch so viel Spaß gemacht. Sie war auch sehr diszipliniert.“
„Lernen muss nicht Spaß machen, Lernen muss Ergebnisse bringen. So ein hundsmiserables Ergebnis im gaokao! Ich schäme mich so. Für was haben wir so viel Geld auf jahrelange Nachhilfe verschwendet? Himmel! Wenn das Vater noch erlebt hätte… Er wäre vor Scham im Boden versunken. Weißt du, was er getan hätte, unser lieber Vater? Er hätte zuerst Fu erdrosselt und sich danach im Garten an einem Seidenschal erhängt; dort, wo einst der Pavillon der nachaktiven Vergnüglichkeit gestanden hat. Das war sein Lieblingsplatz.“
„Rede nicht von Vater! Es ist gut, dass er schon lange unter der Erde im Grab liegt.“
Plötzlich spricht die Mutter mit unterdrücktem Zorn.
„Die Alten verstehen nicht die neuen Generationen und Sitten. Neue Ideen sind ihnen fremd. Sie lehnen sie instinktiv ab. Wir müssen uns aber an die neue Zeit und den Fortschritt anpassen, wenn wir China zu Glanz und Größe verhelfen wollen. Gatte, du bist zornig, dass Fu schlechte Noten nachhause gebracht hat, und übersiehst dadurch das Naheliegende. Sehr wahrscheinlich hat mein kluges Kätzchen diesmal genau richtig daran getan, das Abitur nicht zu bestehen. Tatsächlich bin ich sehr stolz auf unsere Fu.“
Sie sagt dies bestimmt und keinen Widerspruch duldend. Ist sie verrückt geworden? Oder hat ihre weibliche Intuition in ihrem grenzenlosen Optimismus dort einen Ausweg erkannt, wo der männliche Verstand pessimistisch verzagt. Der Chinese runzelt die Stirn. Er trinkt hastig einen Schluck lauwarmes Wasser. Erst nachdem seine Gedanken halbwegs geordnet sind, bittet er Frau Liu, sich genauer zu fassen.
„Was habe ich übersehen? Sag es mir, Frau, damit ich es verstehen kann!“
„Sieh doch! Wir sollten ehrlich zueinander sein. Wir hätten uns die hohen Studiengebühren einer chinesischen Eliteuniversität ohnehin nicht leisten können. Du bist reich, aber nicht so reich wie der Mann meiner Schwester. Weder Qinghua noch Fudan können wir der armen Fu ermöglichen. Nicht, nachdem du vor zwei Jahren diese hohen Verluste gemacht hast. Ich habe dir immer von Aktien abgeraten. Aber du wolltest nicht auf mich hören. Soll unsere kluge Tochter etwa auf eine minderwertige Universität gehen, nur weil ihr Vater neuerdings sparen muss.“
Betroffen lauscht er ihren Worten.
„Allerdings habe ich noch die Hälfte vom Erbe meiner Mutter übrig und ich meine, ich werde es nun in eine gute Sache investieren.“
„In was investieren?“
„In die Zukunft unserer Tochter!“
„Ng. Das verstehe ich nicht.“
„Weil du ein dummer Esel bist, lieber Gatte!“
„Und du eine alte, durchtriebene Füchsin, liebe Gattin! Ich sehe, du willst noch mehr Geld für Fu ausgeben. Doch wo soll das hinführen?“
Wütend fächelt sie sich Luft.
„Dummes Ei! Reiz mich nicht, wenn ich allein die Zukunft unserer Tochter planen muss. Ein schöner Vater bist du! Wir lassen sie natürlich im Ausland studieren. In China sind Auslandsabschlüsse noch immer hoch angesehen. Ein ausländischer Bachelor ist fast so gut wie ein Abschluss der Qinghua-Universität.“
„Ohne Abitur…“, wundert sich ihr Mann.
„Wir kaufen ihr natürlich ein Zertifikat. Für was habe ich denn mein Erbe? Im Ausland kennt sie niemand. Niemand wird wissen, dass Fu ihr Abitur nicht bestanden hat.“
„Gut. Wenn du das Geld deiner Mutter darin investieren willst. Dagegen sage ich nichts. Dein Plan hat allerdings einen großen Schönheitsfehler. Kann es sein, dass du das Wichtige übersehen hast? − Im Ausland studieren ist nicht billig! Die Tochter meiner Cousine studiert in Oxford in Großbritannien, dein Neffe in Princeton in den USA. Ihre Eltern mussten das dritte Haus und die Eigentumswohnung verkaufen. Seine Eltern gehen, seitdem er studiert, nur noch einmal in der Woche in ein teures Restaurant. Ein Auslandsstudium − das kann sich unsere Yin-Familie nicht leisten! Oooo, ich werde doch einen Kredit aufnehmen müssen. Ich werde meine BMWs verpfänden und den Porsche stornieren.“
„Fu wird in Europa auf dem Festland studieren! Sie interessiert sich weder für Oxford noch Princeton. Sie kann die beiden Namen noch nicht einmal korrekt aussprechen.“
Ihr Mann wird sehr leise und nachdenklich. Langsam beginnt er so wie seine Frau zu denken.
„Ich meine, Deutschland wäre eine gute Wahl. Ich habe gehört, dass ein Studium in Deutschland billig ist. Außerdem hat Deutschland einen guten Ruf: BMW, Oktoberfest, Bier, Markus Söder. Was lachst du, Frau?!“
„Mein Gatte, sagte ich nicht, dass unsere Fu in Wahrheit sehr klug ist? Meine Worte haben sich soeben wieder einmal bewahrheitet! Was hat Fu gewählt, als sie sich für eine zweite Fremdsprache entscheiden musste − Deutsch! Als ob sie es in einem Traum vorhergesehen hätte, was einmal ihr Schicksal werden soll.“
Herr Yin atmet erleichtert auf. Eine zarte Hoffnung überkommt ihn.
„Okay, okay, okay! Du hast wie immer Recht behalten.“
Schlagartig bewölkt sich seine Stirn.
„Nein, du hast doch Unrecht! Dein Plan ist bei genauerem Hinsehen naiv und dumm. Wie soll unsere dumme Fu denn ein deutsches Studium schaffen? Wir können ihr ein gefälschtes Abitur kaufen − das fällt in Deutschland keinem auf. Aber wir können ihr keinen deutschen Hochschulabschluss kaufen.“
Die Chinesin seufzt.
„Warum bin ich die Einzige mit praktischem Verstand von uns beiden? Selbstverständlich lassen wir Fu ein Fach studieren, das ihr nicht schwerfallen wird. Auf diese Weise kann sie ihre Talente so richtig entfalten. Du dachtest sicherlich an Medizin, Physik oder BWL. − Das passt doch gar nicht zu unserer Fu! Im Gegensatz zu dir hatte ich heute Abend einen sehr guten Einfall: Fu studiert Chinawissenschaften in Deutschland. Das hat der Enkel von Frau Wu auch gemacht, nachdem er dreimal sein Studium in China abbrechen musste. Du wirst dich wundern, was für gute Noten unsere Fu plötzlich nachhause bringen wird. Die deutschen Lehrer werden staunen, wie gut Fu Chinesisch sprechen kann, wie viel sie über China weiß, und ihr Bestnoten geben.“
„Ausgezeichnet!“
„Du lobst mich bereits, ohne meinen Plan zu Ende gehört zu haben. Der deutsche Abschluss ist gar nicht so wichtig. Es ist viel wichtiger, dass Fu in Deutschland einen guten Mann unter ihren Dozenten findet!“
„Einen deutschen Mann als Schwiegersohn? Ich weiß nicht so recht, Frau!“
„Mach dir da mal keine Gedanken!“
Er versucht dem Plan seiner Frau im Sinne seiner Tochter etwas Positives abzugewinnen. Zögerlich sucht er nach Vorteilen.
„Ng. Ich habe gehört, dass europäische Männer anspruchsloser sind. Dem Hörensagen nach gehört es in Europa zur schlechten Sitte, Jungfrauen zu ehelichen.“
Sie fächelt sich Luft und nickt. Er patscht mit einer Hand auf seinen nackten, verschwitzten Bauch.
„Mmm?! Ich habe gehört, dass europäische und auch deutsche Männer leidenschaftlichere Liebhaber als Chinesen sind. Mit mehr Sinn für Romantik! Obwohl die Franzosen und die Italiener ja die Deutschen um Längen übertreffen sollen… Hmm. Das könnte unserer Fu gefallen. Um ihr Hörverständnis im Englischen zu verbessern, hat sie zu viele amerikanische Serien geschaut. Ich war dagegen, doch du hast gemeint, sie würde eines Tages von selbst erkennen, dass romantische Illusionen keinen Platz in der Realität haben.“
Noch lässt sie ihn ausreden. Doch ihre Ungeduld verrät sie bereits. Der kleine Haufen von leeren Sonnenblumenschalen wird immer größer.
„Ng, ich habe gehört, dass besonders alte reiche Männer an jungen Asiatinnen interessiert sind. Dem Hörensagen nach nehmen diese alten Säcke Potenzmittel ein, um es ihren jungen Frauen in der Hochzeitsnacht so richtig zu beweisen. Doch das hält ihr Herz nicht lange durch. Sie sterben bald an ihrer Sexsucht und unsere jungen Töchter erben ihr Geld.“
Sie schweigt unter Qual.
„Öööh, ich habe gehört…“
Sie fällt ihm unbeherrscht ins Wort.
„Warum vergisst du immer das Wichtigste? Du scheinst nicht verstanden zu haben, wie genial mein Plan tatsächlich ist: Alle deutschen Chinawissenschaftler wollen unbedingt eine chinesische Frau. Jede Chinesin kann diese Sorte von Mann verführen, wenn sie es nur will. Kennst du den Grund?“
Fragend blickt er sie an. Zum ersten Mal seit Beginn ihres Gesprächs entsteht Blickkontakt zwischen den Eheleuten. Sie gluckst wie eine Bruthenne.
„Das Chinesisch dieser Chinawissenschaftler ist sooo schlecht, dass sie eine eigene Übersetzerin benötigen, sobald sie einmal nach China reisen. Sicherlich erinnerst du dich noch an Mr. Miller im letzten Sommer. Den Ingenieur. Wir haben ihn kaum verstanden, doch er hat immer weitergesprochen und weitergesprochen in seinem schlechten Chinesisch. Das war so grauenvoll! Keiner, der nicht in China geboren ist, kann Chinesisch wirklich sprechen.“
Herr Yin klatscht mit der flachen Hand auf seinen linken Innenschenkel.
„Ausgezeichnet, Frau! Fu wird also einen Deutschen heiraten, der sie später gut versorgt. Damit ist uns eine große Last von den Schultern genommen. Ach, Frau, gib mir auch mal von den Sonnenblumenkernen! Das viele Reden und Denken hat mich hungrig gemacht!“
Seine Frau lächelt listig, ohne ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht hält sie ihn ohnehin für zu fett.
„Ich frage mich… ich frage mich… ob unsere Fu am Ende sogar jemanden trifft, der ihr wirklich gefällt?!“
„Meinst du, ein Auslandschinese würde sie haben wollen? In diesem Fall wären die Enkelkinder nicht halb so hässlich!“
Lachend gibt sie ihm mit ihrem Fächer einen leichten Schlag auf die Fingerknöchel.
Dieser unmögliche Mann! Wie kann er nur so reden?
In gespielter Entrüstung verdreht die Chinesin die Augen. Doch ihre Mundwinkel zucken dabei. Er lacht wie ein Lausbub. Unwillkürlich stimmt sie in sein Lachen mit ein.
In diesem einzigartigen Moment, auf einer Dachterrasse in Suzhou unter dem Blätterdach zweier großer Bananenstauden, war Frau Liu glücklich, einen humorvollen gutmütigen Mann an ihrer Seite zu haben. Vielleicht war es doch gut gewesen, in die Yin-Familie einzuheiraten: Ihre Tochter würde es einmal besser haben als sie.

Eine leichte Abendbrise kam auf und machte ihr Glück vollkommen.
  • Geschrieben von Cecelia_X
  • Veröffentlicht am 15.10.2023
  • Gelesen: 4315 mal

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